Interview

Die Rente nimmt den Jungen die Luft

Bald ist jeder dritte Euro im Bundeshauhalt durch Zuschüsse zur Rente gebunden. Diese Ungerechtigkeit blockiert Investitionen in die Zukunft, meint Christian Hagist.

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Interview

Die Rente nimmt den Jungen die Luft

Bald ist jeder dritte Euro im Bundeshauhalt durch Zuschüsse zur Rente gebunden. Diese Ungerechtigkeit blockiert Investitionen in die Zukunft, meint Christian Hagist.

Axel Novak

Christian Hagist ist Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der WHU – Otto Beisheim School of Management und leitet dort das Center für Intergenerative Finanzwissenschaft (CIF).

Das neue Rentenpaket, das am 5. Dezember im Bundestag verabschiedet wurde, verschärft die Belastungen für die junge Generation im Sozialversicherungssystem. Zu diesem Schluss kommt Christian Hagist, der zusammen mit Stefan Seuffert am Center für Intergenerative Finanzwissenschaft (CIF) der WHU – Otto Beisheim School of Management die aktuelle Rentenpolitik unter die Lupe genommen hat. In einem Kurzgutachten für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit rechnen die beiden Autoren vor, dass der Beitragssatz zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ohne Kurskorrektur bis 2045 auf über 50 Prozent steigen wird. Schon bald würden mehr als 30 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes in die Rentenversicherung fließen. Fast jeder dritte Euro im Bundeshaushalt wäre somit dauerhaft blockiert. Spielraum für Investitionen, Sicherheit und Zukunftsausgaben wäre verloren. Im Gespräch erläutert Christian Hagist, was zu tun ist.

Herr Professor Hagist, das Rentenpaket 2025 wurde verabschiedet. Sehen Sie in den kommenden Jahren Chancen für eine umfassende Rentenreform, wie von Ihnen und vielen anderen Ökonomen gefordert?
Ich sehe durchaus Chancen, wenn es gelingt, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken und sie mitzunehmen. Es geht hier schließlich nicht um irgendeine neoliberale Staatsfantasie vom schlanken Staat, sondern darum, das Gesamtsystem am Leben zu halten. Der Kanzler hat selbst gesagt, es sei „fünf nach zwölf“. Wir steuern, wie wir es auch in unserem Gutachten beschrieben haben, auf einen Kipppunkt zu.

In Ihrem Gutachten schlagen Sie mehrere Maßnahmen vor, um das System zu stabilisieren. Wie lässt sich eine solche Palette an Maßnahmen vermitteln?
Wenn wir klug kommunizieren, lässt sich vermitteln, dass eine Anhebung des Renteneintrittsalters notwendig und machbar ist. Dass sie notwendig ist, belegen die Hochrechnungen der Abgaben. Dass sie auch machbar ist, liegt darin begründet, dass wir heute gesünder altern. Der Ausdruck „70 ist das neue 60“ beschreibt diese Entwicklung gut. Wir müssen der älteren Generation erklären, warum der Nachhaltigkeitsfaktor wichtig ist. Es geht darum, die Jüngeren nicht zu überlasten. Gleichzeitig muss niemand in extrem belastenden Berufen bis 70 arbeiten. Die Tarifparteien können Lösungen wie betriebliche Altersvorsorgen für spezielle Berufsprofile schaffen. Das passiert schon heute. Wir sollten also die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft anwenden. Nicht für jedes Risiko muss automatisch der Staat einspringen. Auch Zuwanderung lässt sich erklären. Wir haben überall Fachkräftemangel. Ob Ingenieure, Pflegekräfte, Programmierer – wir brauchen Menschen, die hier arbeiten wollen. Und was letztlich den Faktor kapitalgedeckte Säule betrifft: Hier haben Fintechs und auch einige Finfluencer dazu beigetragen, dass Aktieninvestments heute nicht mehr als Glücksspiel im „Monte Carlo“-Stil gelten. Junge Menschen haben verstanden, dass Aktien eine solide Möglichkeit sind, Vermögen aufzubauen.

Wie sieht es mit anderen Einkunftsarten wie Mieteinnahmen oder Kapitaleinkünften aus? Sollte man diese nicht in die Rente einbeziehen?
Dies ist nicht sinnvoll. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung muss man sich klarmachen, was sie eigentlich absichert: Erstens das sinkende Erwerbseinkommen im Alter und zweitens das Langlebigkeitsrisiko – also die Tatsache, dass niemand weiß, wie alt er oder sie wird. Genau hier ist die Lohnbezogenheit logisch. Eine vermietete Wohnung wirft auch im Alter Erträge ab. Wertpapiere zahlen Dividenden oder Zinsen. Diese Einkünfte bleiben erhalten und müssen nicht versichert werden. Was im Alter wegfällt, ist der Lohn. Deshalb ergibt es im Umlageverfahren keinen Sinn, andere Einkunftsarten miteinzubeziehen. Das wäre der Einstieg in eine steuerfinanzierte Rente. Diejenigen, die das fordern, möchten die Rente zu einer zweiten Umverteilungsmaschine von Reich zu Arm machen. Ich würde eine Einbeziehung anderer Einkunftsarten daher klar ablehnen.

Und was ist mit neuen Beitragszahlern wie Beamten, Selbstständigen oder Politikern?
Das ist kompliziert. Unser System ist historisch gewachsen, nicht logisch konstruiert. Allerdings haben nicht alle Gruppen außerhalb der gesetzlichen Rente ein für die Rentenversicherung vorteilhaftes demografisches Profil. Beamte zum Beispiel leben im Schnitt vier Jahre länger als der Durchschnitt. Wenn wir sie in die Rentenversicherung aufnehmen, hätte das kurzfristig einen positiven Effekt auf die Beitragssätze – deshalb ist es politisch attraktiv. Langfristig wäre es aber nachteilig, weil wir ein schlechteres Risiko für das Umlagesystem aufnehmen. Man kann vieles tun, aber es stabilisiert das System nicht dauerhaft.

Sie haben von einem Kipppunkt gesprochen, wenn etwa 50 Prozent Abgaben für die Sozialversicherungen anfallen. Im europäischen Vergleich steht Deutschland aber gar nicht so dramatisch da.
Deutschland spielt in der Champions League der Sozialstaatsquoten mit. Als exportorientiertes Industrieland stehen wir in einem intensiven Wettbewerb, da sind hohe Abgaben ein Standortfaktor. Wir konkurrieren um die besten Köpfe. Welche Argumente haben wir gegenüber einer jungen chinesischen oder indischen Programmiererin, die überlegt, nach Deutschland zu kommen, wenn sie hier rund 50 Prozent ihrer Produktivität in die Sozialversicherung stecken muss – bei ungewisser Aufenthaltsdauer, unklarer Rentenperspektive und hoher Steuerlast? Andere Staaten machen da attraktivere Angebote. Das gilt ebenso für unsere eigenen jungen Fachkräfte: Noch nie war Auswandern so einfach wie heute. Sprachen sind dank KI kaum noch eine Barriere, Medien und Kultur kann man überallhin mitnehmen. Deshalb erreichen wir unseren Kipppunkt schneller.

Stecken wir in Deutschland gesellschaftlich vielleicht in einem wohlfahrtsstaatlichen Anspruchsdenken fest, das notwendige Reformen lähmt? Niemand möchte unbequeme strukturelle Veränderungen anstoßen, weil sie wehtun könnten.
Das ist eine spannende Frage. Aber ich erinnere mich an Zeiten, in denen Deutschland durchaus beim Thema Reformen führend war, etwa gemeinsam mit Schweden. Wir haben bei der Altersvorsorge vieles richtig gemacht. Auch die erste Große Koalition hat sinnvolle Schritte unternommen. Heute fordert niemand in Deutschland ernsthaft, zur Rente mit 65 zurückzukehren. Das zeigt, dass Reformen akzeptiert werden können. Hätte man den Nachhaltigkeitsfaktor einfach weiterlaufen lassen, wären wir heute in einer besseren Lage. Aber ich glaube, dass sich Bürgerinnen und Bürger auch schmerzhaften Änderungen langfristig nicht verschließen, wenn man ihnen gute Argumente klar vermittelt.

Kurzgutachten zum Rentenpaket 2025
Für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit haben Christian Hagist und Stefan Seuffert ein Kurzgutachten zum jüngsten Rentenpaket erstellt. Die beiden forschen am Center für Intergenerative Finanzwissenschaft (CIF) der WHU – Otto Beisheim School of Management.

Das neue Rentenpaket, das am 5. Dezember im Bundestag verabschiedet wurde, verschärft die Belastungen für die junge Generation im Sozialversicherungssystem. Zu diesem Schluss kommt Christian Hagist, der zusammen mit Stefan Seuffert am Center für Intergenerative Finanzwissenschaft (CIF) der WHU – Otto Beisheim School of Management die aktuelle Rentenpolitik unter die Lupe genommen hat. In einem Kurzgutachten für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit rechnen die beiden Autoren vor, dass der Beitragssatz zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ohne Kurskorrektur bis 2045 auf über 50 Prozent steigen wird. Schon bald würden mehr als 30 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes in die Rentenversicherung fließen. Fast jeder dritte Euro im Bundeshaushalt wäre somit dauerhaft blockiert. Spielraum für Investitionen, Sicherheit und Zukunftsausgaben wäre verloren. Im Gespräch erläutert Christian Hagist, was zu tun ist.

Herr Professor Hagist, das Rentenpaket 2025 wurde verabschiedet. Sehen Sie in den kommenden Jahren Chancen für eine umfassende Rentenreform, wie von Ihnen und vielen anderen Ökonomen gefordert?
Ich sehe durchaus Chancen, wenn es gelingt, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken und sie mitzunehmen. Es geht hier schließlich nicht um irgendeine neoliberale Staatsfantasie vom schlanken Staat, sondern darum, das Gesamtsystem am Leben zu halten. Der Kanzler hat selbst gesagt, es sei „fünf nach zwölf“. Wir steuern, wie wir es auch in unserem Gutachten beschrieben haben, auf einen Kipppunkt zu.

In Ihrem Gutachten schlagen Sie mehrere Maßnahmen vor, um das System zu stabilisieren. Wie lässt sich eine solche Palette an Maßnahmen vermitteln?
Wenn wir klug kommunizieren, lässt sich vermitteln, dass eine Anhebung des Renteneintrittsalters notwendig und machbar ist. Dass sie notwendig ist, belegen die Hochrechnungen der Abgaben. Dass sie auch machbar ist, liegt darin begründet, dass wir heute gesünder altern. Der Ausdruck „70 ist das neue 60“ beschreibt diese Entwicklung gut. Wir müssen der älteren Generation erklären, warum der Nachhaltigkeitsfaktor wichtig ist. Es geht darum, die Jüngeren nicht zu überlasten. Gleichzeitig muss niemand in extrem belastenden Berufen bis 70 arbeiten. Die Tarifparteien können Lösungen wie betriebliche Altersvorsorgen für spezielle Berufsprofile schaffen. Das passiert schon heute. Wir sollten also die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft anwenden. Nicht für jedes Risiko muss automatisch der Staat einspringen. Auch Zuwanderung lässt sich erklären. Wir haben überall Fachkräftemangel. Ob Ingenieure, Pflegekräfte, Programmierer – wir brauchen Menschen, die hier arbeiten wollen. Und was letztlich den Faktor kapitalgedeckte Säule betrifft: Hier haben Fintechs und auch einige Finfluencer dazu beigetragen, dass Aktieninvestments heute nicht mehr als Glücksspiel im „Monte Carlo“-Stil gelten. Junge Menschen haben verstanden, dass Aktien eine solide Möglichkeit sind, Vermögen aufzubauen.

Wie sieht es mit anderen Einkunftsarten wie Mieteinnahmen oder Kapitaleinkünften aus? Sollte man diese nicht in die Rente einbeziehen?
Dies ist nicht sinnvoll. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung muss man sich klarmachen, was sie eigentlich absichert: Erstens das sinkende Erwerbseinkommen im Alter und zweitens das Langlebigkeitsrisiko – also die Tatsache, dass niemand weiß, wie alt er oder sie wird. Genau hier ist die Lohnbezogenheit logisch. Eine vermietete Wohnung wirft auch im Alter Erträge ab. Wertpapiere zahlen Dividenden oder Zinsen. Diese Einkünfte bleiben erhalten und müssen nicht versichert werden. Was im Alter wegfällt, ist der Lohn. Deshalb ergibt es im Umlageverfahren keinen Sinn, andere Einkunftsarten miteinzubeziehen. Das wäre der Einstieg in eine steuerfinanzierte Rente. Diejenigen, die das fordern, möchten die Rente zu einer zweiten Umverteilungsmaschine von Reich zu Arm machen. Ich würde eine Einbeziehung anderer Einkunftsarten daher klar ablehnen.

Und was ist mit neuen Beitragszahlern wie Beamten, Selbstständigen oder Politikern?
Das ist kompliziert. Unser System ist historisch gewachsen, nicht logisch konstruiert. Allerdings haben nicht alle Gruppen außerhalb der gesetzlichen Rente ein für die Rentenversicherung vorteilhaftes demografisches Profil. Beamte zum Beispiel leben im Schnitt vier Jahre länger als der Durchschnitt. Wenn wir sie in die Rentenversicherung aufnehmen, hätte das kurzfristig einen positiven Effekt auf die Beitragssätze – deshalb ist es politisch attraktiv. Langfristig wäre es aber nachteilig, weil wir ein schlechteres Risiko für das Umlagesystem aufnehmen. Man kann vieles tun, aber es stabilisiert das System nicht dauerhaft.

Sie haben von einem Kipppunkt gesprochen, wenn etwa 50 Prozent Abgaben für die Sozialversicherungen anfallen. Im europäischen Vergleich steht Deutschland aber gar nicht so dramatisch da.
Deutschland spielt in der Champions League der Sozialstaatsquoten mit. Als exportorientiertes Industrieland stehen wir in einem intensiven Wettbewerb, da sind hohe Abgaben ein Standortfaktor. Wir konkurrieren um die besten Köpfe. Welche Argumente haben wir gegenüber einer jungen chinesischen oder indischen Programmiererin, die überlegt, nach Deutschland zu kommen, wenn sie hier rund 50 Prozent ihrer Produktivität in die Sozialversicherung stecken muss – bei ungewisser Aufenthaltsdauer, unklarer Rentenperspektive und hoher Steuerlast? Andere Staaten machen da attraktivere Angebote. Das gilt ebenso für unsere eigenen jungen Fachkräfte: Noch nie war Auswandern so einfach wie heute. Sprachen sind dank KI kaum noch eine Barriere, Medien und Kultur kann man überallhin mitnehmen. Deshalb erreichen wir unseren Kipppunkt schneller.

Stecken wir in Deutschland gesellschaftlich vielleicht in einem wohlfahrtsstaatlichen Anspruchsdenken fest, das notwendige Reformen lähmt? Niemand möchte unbequeme strukturelle Veränderungen anstoßen, weil sie wehtun könnten.
Das ist eine spannende Frage. Aber ich erinnere mich an Zeiten, in denen Deutschland durchaus beim Thema Reformen führend war, etwa gemeinsam mit Schweden. Wir haben bei der Altersvorsorge vieles richtig gemacht. Auch die erste Große Koalition hat sinnvolle Schritte unternommen. Heute fordert niemand in Deutschland ernsthaft, zur Rente mit 65 zurückzukehren. Das zeigt, dass Reformen akzeptiert werden können. Hätte man den Nachhaltigkeitsfaktor einfach weiterlaufen lassen, wären wir heute in einer besseren Lage. Aber ich glaube, dass sich Bürgerinnen und Bürger auch schmerzhaften Änderungen langfristig nicht verschließen, wenn man ihnen gute Argumente klar vermittelt.

Kurzgutachten zum Rentenpaket 2025
Für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit haben Christian Hagist und Stefan Seuffert ein Kurzgutachten zum jüngsten Rentenpaket erstellt. Die beiden forschen am Center für Intergenerative Finanzwissenschaft (CIF) der WHU – Otto Beisheim School of Management.

Das neue Rentenpaket, das am 5. Dezember im Bundestag verabschiedet wurde, verschärft die Belastungen für die junge Generation im Sozialversicherungssystem. Zu diesem Schluss kommt Christian Hagist, der zusammen mit Stefan Seuffert am Center für Intergenerative Finanzwissenschaft (CIF) der WHU – Otto Beisheim School of Management die aktuelle Rentenpolitik unter die Lupe genommen hat. In einem Kurzgutachten für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit rechnen die beiden Autoren vor, dass der Beitragssatz zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ohne Kurskorrektur bis 2045 auf über 50 Prozent steigen wird. Schon bald würden mehr als 30 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes in die Rentenversicherung fließen. Fast jeder dritte Euro im Bundeshaushalt wäre somit dauerhaft blockiert. Spielraum für Investitionen, Sicherheit und Zukunftsausgaben wäre verloren. Im Gespräch erläutert Christian Hagist, was zu tun ist.

Herr Professor Hagist, das Rentenpaket 2025 wurde verabschiedet. Sehen Sie in den kommenden Jahren Chancen für eine umfassende Rentenreform, wie von Ihnen und vielen anderen Ökonomen gefordert?
Ich sehe durchaus Chancen, wenn es gelingt, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken und sie mitzunehmen. Es geht hier schließlich nicht um irgendeine neoliberale Staatsfantasie vom schlanken Staat, sondern darum, das Gesamtsystem am Leben zu halten. Der Kanzler hat selbst gesagt, es sei „fünf nach zwölf“. Wir steuern, wie wir es auch in unserem Gutachten beschrieben haben, auf einen Kipppunkt zu.

In Ihrem Gutachten schlagen Sie mehrere Maßnahmen vor, um das System zu stabilisieren. Wie lässt sich eine solche Palette an Maßnahmen vermitteln?
Wenn wir klug kommunizieren, lässt sich vermitteln, dass eine Anhebung des Renteneintrittsalters notwendig und machbar ist. Dass sie notwendig ist, belegen die Hochrechnungen der Abgaben. Dass sie auch machbar ist, liegt darin begründet, dass wir heute gesünder altern. Der Ausdruck „70 ist das neue 60“ beschreibt diese Entwicklung gut. Wir müssen der älteren Generation erklären, warum der Nachhaltigkeitsfaktor wichtig ist. Es geht darum, die Jüngeren nicht zu überlasten. Gleichzeitig muss niemand in extrem belastenden Berufen bis 70 arbeiten. Die Tarifparteien können Lösungen wie betriebliche Altersvorsorgen für spezielle Berufsprofile schaffen. Das passiert schon heute. Wir sollten also die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft anwenden. Nicht für jedes Risiko muss automatisch der Staat einspringen. Auch Zuwanderung lässt sich erklären. Wir haben überall Fachkräftemangel. Ob Ingenieure, Pflegekräfte, Programmierer – wir brauchen Menschen, die hier arbeiten wollen. Und was letztlich den Faktor kapitalgedeckte Säule betrifft: Hier haben Fintechs und auch einige Finfluencer dazu beigetragen, dass Aktieninvestments heute nicht mehr als Glücksspiel im „Monte Carlo“-Stil gelten. Junge Menschen haben verstanden, dass Aktien eine solide Möglichkeit sind, Vermögen aufzubauen.

Wie sieht es mit anderen Einkunftsarten wie Mieteinnahmen oder Kapitaleinkünften aus? Sollte man diese nicht in die Rente einbeziehen?
Dies ist nicht sinnvoll. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung muss man sich klarmachen, was sie eigentlich absichert: Erstens das sinkende Erwerbseinkommen im Alter und zweitens das Langlebigkeitsrisiko – also die Tatsache, dass niemand weiß, wie alt er oder sie wird. Genau hier ist die Lohnbezogenheit logisch. Eine vermietete Wohnung wirft auch im Alter Erträge ab. Wertpapiere zahlen Dividenden oder Zinsen. Diese Einkünfte bleiben erhalten und müssen nicht versichert werden. Was im Alter wegfällt, ist der Lohn. Deshalb ergibt es im Umlageverfahren keinen Sinn, andere Einkunftsarten miteinzubeziehen. Das wäre der Einstieg in eine steuerfinanzierte Rente. Diejenigen, die das fordern, möchten die Rente zu einer zweiten Umverteilungsmaschine von Reich zu Arm machen. Ich würde eine Einbeziehung anderer Einkunftsarten daher klar ablehnen.

Und was ist mit neuen Beitragszahlern wie Beamten, Selbstständigen oder Politikern?
Das ist kompliziert. Unser System ist historisch gewachsen, nicht logisch konstruiert. Allerdings haben nicht alle Gruppen außerhalb der gesetzlichen Rente ein für die Rentenversicherung vorteilhaftes demografisches Profil. Beamte zum Beispiel leben im Schnitt vier Jahre länger als der Durchschnitt. Wenn wir sie in die Rentenversicherung aufnehmen, hätte das kurzfristig einen positiven Effekt auf die Beitragssätze – deshalb ist es politisch attraktiv. Langfristig wäre es aber nachteilig, weil wir ein schlechteres Risiko für das Umlagesystem aufnehmen. Man kann vieles tun, aber es stabilisiert das System nicht dauerhaft.

Sie haben von einem Kipppunkt gesprochen, wenn etwa 50 Prozent Abgaben für die Sozialversicherungen anfallen. Im europäischen Vergleich steht Deutschland aber gar nicht so dramatisch da.
Deutschland spielt in der Champions League der Sozialstaatsquoten mit. Als exportorientiertes Industrieland stehen wir in einem intensiven Wettbewerb, da sind hohe Abgaben ein Standortfaktor. Wir konkurrieren um die besten Köpfe. Welche Argumente haben wir gegenüber einer jungen chinesischen oder indischen Programmiererin, die überlegt, nach Deutschland zu kommen, wenn sie hier rund 50 Prozent ihrer Produktivität in die Sozialversicherung stecken muss – bei ungewisser Aufenthaltsdauer, unklarer Rentenperspektive und hoher Steuerlast? Andere Staaten machen da attraktivere Angebote. Das gilt ebenso für unsere eigenen jungen Fachkräfte: Noch nie war Auswandern so einfach wie heute. Sprachen sind dank KI kaum noch eine Barriere, Medien und Kultur kann man überallhin mitnehmen. Deshalb erreichen wir unseren Kipppunkt schneller.

Stecken wir in Deutschland gesellschaftlich vielleicht in einem wohlfahrtsstaatlichen Anspruchsdenken fest, das notwendige Reformen lähmt? Niemand möchte unbequeme strukturelle Veränderungen anstoßen, weil sie wehtun könnten.
Das ist eine spannende Frage. Aber ich erinnere mich an Zeiten, in denen Deutschland durchaus beim Thema Reformen führend war, etwa gemeinsam mit Schweden. Wir haben bei der Altersvorsorge vieles richtig gemacht. Auch die erste Große Koalition hat sinnvolle Schritte unternommen. Heute fordert niemand in Deutschland ernsthaft, zur Rente mit 65 zurückzukehren. Das zeigt, dass Reformen akzeptiert werden können. Hätte man den Nachhaltigkeitsfaktor einfach weiterlaufen lassen, wären wir heute in einer besseren Lage. Aber ich glaube, dass sich Bürgerinnen und Bürger auch schmerzhaften Änderungen langfristig nicht verschließen, wenn man ihnen gute Argumente klar vermittelt.

Kurzgutachten zum Rentenpaket 2025
Für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit haben Christian Hagist und Stefan Seuffert ein Kurzgutachten zum jüngsten Rentenpaket erstellt. Die beiden forschen am Center für Intergenerative Finanzwissenschaft (CIF) der WHU – Otto Beisheim School of Management.

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